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M�de erhebt sich die Sonne am Horizont. Erste Strahlen durchdringen zaghaft den Nebel, der wie ein Schleier die Landschaft bedeckt. Langsam werden die Umrisse einer alten knorrigen Weide sichtbar. Deren �ste liegen schwer auf dem Dach einer kleinen H�tte. Immergr�nes Efeu rankt in verschlungenen Bahnen die morschen Bretter des kleinen Hauses empor. Die Natur hat die menschliche Behausung fast g�nzlich verschlungen. Es scheint nur eine Frage der Zeit, bis jedes Zeugnis der ereignisreichen Vergangenheit der H�tte f�r immer ausgel�scht sein wird.
Es ist kalt. Schnee bedeckt die Weiten der umliegenden Felder. Doch die ersten Boten des herannahenden Fr�hlings sind bereits sichtbar. Der stete Strom des kleinen Baches, der sich in gewundenen Bahnen an dem kleinen Haus vorbeiqu�lt, fr�st sich langsam durch die dicke Schicht aus Eis und ein kleiner sprudelnder Rinnsal wird sichtbar. Die ersten gr�nen Flecken zieren die wei�e Eint�nigkeit des Schnees und inmitten dieser Trostlosigkeit reckt sich eine kleine Blume der Sonne entgegen - allen Widrigkeiten der Natur widerstrebend, als h�tte es nie einen Winter gegeben.
Getragen durch einen harrschen Wind ist ged�mpft eine Frauenstimme in der Ferne vernehmbar. Die Stimme geh�rt zu einem kleinen bunten Fleck am Horizont. Der Fleck wird zu einer schemenhaften Gestalt, die Stimme wird klarer. Bald schon erkennt man eine junge Frau, die sich mit jugendlicher Leichtigkeit bewegt - kaum Spuren im Schnee hinterlassend. Die Frau singt mit einer sanften, lieblichen Stimme, dem Gesang von V�geln an einem warmen Sommermorgen gleich. Sie ist geh�llt in einen farbenfrohen Mantel. In einer Hand h�lt sie ein einfaches weisses Tuch auf dessen Innenseite ihr Name gestickt ist - Shirley. Sie dr�ckt das Tuch an ihr Herz und leise ist ein Seufzer zu h�ren...
Shirley schiebt das Efeu der H�tte behutsam beiseite und ein moosbewachsener Fensterladen wird sichtbar. Er knarrt gequ�lt als Shirley ihn �ffnet. Ein Strahl der kr�ftigen Sonne durchdringt das freigelegte Fenster und f�llt auf den K�rpes eines alten, gebrochenen Mannes. Beim Anblick des Greises l�uft eine Tr�ne die rosigen Wangen der Frau herab. Sie wischt sie mit ihrem Tuch ab.
Shirley �ffnet leise die T�r und der alte Mann hebt langsam seinen Kopf. Er zittert am ganzen K�rper. Als er Shirley erblickt, formen sich seine Lippen zu einem leichten L�cheln, das von Shirley ebenso beantwortet wird. Es bedarf nicht vieler Worte zwischen den beiden, um sich zu begr�ssen und zu sagen wie tief die Liebe zwischen Vater und Tochter ist.
Shirley beginnt ein Fr�hst�ck f�r ihren Vater zu bereiten. Der Geruch von frischem Kaffee, gebratenem Speck und Zwiebeln durchstr�mt die H�tte.
Shirley deckt den Tisch und wendet sich wieder ihrem Vater zu.
"Vater, der Tisch ist gedeckt. Wir k�nnen essen."
Stille.
"Bist Du schon wieder eingeschlafen?"
Ihr Vater antwortet nicht mehr...Mit einem L�cheln auf den Lippen ist der alte Mann eingeschlafen und wird nie wieder aufwachen.
"VAAAAAAAAAAAAAAATEEEEEEEEEEER!"
Zwei Wochen des Schmerzes und der Trauer sp�ter. Shirley schlie�t ein letztes mal die T�r des Hauses zu, indem sie gemeinsam mit ihrem Vater die Kindheit verbracht hat. In ihrem Gep�ck ist nichts weiter als das Tuch ihrer Mutter, ein paar Goldm�nzen, Reiseproviant und das Tagebuch ihres Vaters. Ansonsten nimmt sie nichts mit ausser wenigen gl�cklichen Erinnerungen an ihre Kindheit, Wehmut und Trauer �ber den Tod ihres Vaters, sowie Zorn.
Nachdem sie das Tagebuch ihres Vaters gelesen hatte, ist in ihr zum ersten mal dieses Gef�hl entstanden. Sie hat Dinge �ber Ihren Vater gelernt, die sie nie zuvor f�r m�glich gehalten h�tte. Sie l��t sich im Schatten der Weide nieder und �ffnet das Buch: "Shabazza's Tagebuch - in ewiger Liebe f�r meine Frau Aspen und meine Tocher Shirley"
Beim Gedanken an ihren Vater bildet sich eine letzte Tr�ne, die langsam ihre Wange herunter rollt und im Tagebuch ihres Vaters zerplatzt. Shirley holt das Tuch ihrer Mutter hervor und wischt die Tr�ne ab, dabei zerlaufen die Buchstaben ihres Namens zu einem milchig grauen Fleck.
Sie beginnt im Tagebuch zu bl�ttern und liest einige Stellen: den Mord an ihrer Mutter, die Rache ihres Vaters an dem M�rder und seiner Gefolgschaft, die Verfolgung ihres Vaters. Aber am meisten ersch�ttert sie die Geschichte �ber die Folter ihres Vaters, die ihn nicht nur k�rperlich gebrochen hatte, sondern vorallem Stolz und W�rde genommen hatte.
Beim erneuten Lesen durchf�hrt Shirley ein tiefer innerer Schmerz. Aus ihrem Gesicht verschwinden die letzten Zeichen der Jugend. Sie wird nie wieder weinen, sie wird nie wieder singen. Statt dessen ist in ihren Augen ein tiefrot loderndes Feuer zu sehen. Ein Feuer der Rache, ein Feuer der Vernichtung...
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